Zumindest was sein Grabmal angeht, hat der Ritter Otton de Grandson (ca. 1238 – April 1328) alles richtig gemacht. Nicht nur besteht es aus erlesenen Steinsorten, ist reich verziert und ziemlich gross – es steht auch am richtigen Ort. Denn der Platz direkt neben dem Hochaltar der Kathedrale von Lausanne war normalerweise für Kirchenmänner reserviert. Aber wie kommt man dann als Laie zu solcher Ehre? Eine Anleitung in 3 Schritten.
Schritt 1: Sei ein Ritter
Nicht einfach irgendein Ritter. Otton de Grandson liess sich in eines der angesehensten Adelsgeschlechter der Westschweiz gebären und hat damit schon mal den ersten Test bravourös bestanden. Als einfacher Bürger, oder – Gott bewahre! – Bauer hätte er es vermutlich nicht mal in das Kirchenschiff gebracht. Wäre sein erklärtes Lebensziel ein möglichst prunkvolles Grabmal auf der Poleposition zum Paradies gewesen, hätte er eine kirchliche Laufbahn einschlagen und mindestens Erzbischof, wenn nicht sogar Papst werden müssen. Darunter tat es die katholische Kirche meistens nicht. Aber Otton de Grandson hatte noch ein paar andere Asse im Ärmel.
Schritt 2: Werde zu einer Legende
Teil 1: Mach ein Welschlandjahr ein Auslandssemester
Als Adliger hatte unser Ritter sicher bessere Voraussetzungen, aber das höchste der Gefühle war für ihn trotzdem eine hübsche Grabplatte mit seiner Figur in voller Rüstung drauf und jährliche Messen zu seinem Seelenheil, gelesen von einem desinteressierten Priester. Otton musste also etwas tun, das ihn aussergewöhnlich machen würde. Er ging nach England. Das war zwar an sich nichts wirklich unerhörtes, denn seine Herrschaft Grandson gehörte zum Dunstkreis des Herzogs von Savoyen und der Herzog von Savoyen wiederum unterhielt blendende Beziehungen mit dem englischen Königshaus. Verschiedene Verwandte Ottons waren denn auch bereits in die Dienste von Edward I. getreten. Er tat es ihnen also gleich und wurde „Household Knight“ für den König. Das klingt für uns zwar eher nach Staubsaugroboter, war aber am Hofe eine angesehene Position, die ihn in das nächste persönliche Umfeld des Königs katapultierte. Das Abenteuer konnte beginnen!
Teil 2: Werde zum Kriegsheld
Edward I. hatte links neben seinem Königreich so ein Anhängsel der britischen Insel, das er gerne erobern wollte, nämlich Wales. Und Otton war genau sein Mann. Also nicht wirklich sein Mann, aber zumindest „united to him in a lifelong and peculiar friendship“. Wie auch immer, auf jeden Fall leitete er den Kriegszug gegen Llywelyn ap Gruffydd, der dann 1284 auch mit dem Sieg der Engländer endete. Daraufhin machte Edward Otton zum Justitiar des neu eroberten Wales. Als solcher hatte er unter anderem die Oberaufsicht über den Bau der neuen Burgen. Als Baumeister wirkte dabei ein weiterer Savoye, James of St. George, der zuvor schon Schloss Yverdon generalüberholt hatte.

Teil 3: Werde zum Kriegsheld – im Heiligen Land!!!
1290 zeichnete sich ab, dass Akkon, der letzte Stützpunkt der Kreuzfahrer im Heiligen – aber nicht wirklich heimeligen – Land wohl schon bald an die Mamluken fallen dürfte. Edward, der schon lange Fan eines weiteren Kreuzzugs war, wollte das unbedingt verhindern und witterte seine Chance auf eine heldenhafte Aktion zur Rettung des Christentums, abendländischer Werte und des Universums. Oder so. Er schickte Otton de Grandson, der grade auf Sizilien weilte (lange Geschichte…) schon mal vor, um alles für seine eigene Ankunft vorzubereiten. Kurz zusammengefasst: Dazu kam es nicht. 1291 griff Sultan Chalil an und machte die Stadt dem Erdboden gleich. Die Christen waren unter sich heillos zerstritten gewesen und hatten keine ernstzunehmende Verteidigung auf die Reihe gebracht. Für unseren Otton aber war der Moment gekommen, zu glänzen: Er kämpfte tapfer und war einer der letzten, die die Stadt über den Seeweg verliessen.
Teil 4: Make it to the Chronicles
Das alles machte Otton schon bald nach seinem Tod zu einer Legende. So berichtet Johannes Longus von Ypern, Mönch des Klosters Saint-Bertin bei Calais, in seiner Chronica Sancti Bertini über den etwa 50 Jahre zuvor verstorbenen Ritter allerhand Faszinierendes. Bereits vor der Geburt sei seinem Vater von Astrologen geweissagt worden, der Sohnemann würde gross, mächtig und siegreich werden. Ein anwesender Skeptiker aber nahm einen Kienspan aus dem Herdfeuer und munkelte, der Junge würde nur so lange leben, wie der Kienspan brennen würde. Kurzerhand liess der Vater den Kienspan einmauern, damit er nie verlöschen möge. Tatsächlich wuchs der Sohn heran, lebte ungefähr 90 Jahre und liess dann, gebeugt vom Alter, den Kienspan aus der Mauer entfernen und warf ihn ins Feuer, woraufhin er endlich verstarb. Das war aber noch nicht alles. Als er mit Edward im Heiligen Land weilte, wurde der König mit einem Pfeil vergiftet. Otton de Grandson saugte ihm das Blut aus der Wunde und rettete so sein Leben. In allen anderen Chroniken wird diese heldenhafte Tat jedoch Edwards Frau, Eleonore von Kastilien, zugeschrieben. Wer sein Mittellatein etwas auffrischen möchte, kann die Geschichte hier nachlesen (De transfretatione Edoardi, filii regis Anglie).
Schritt 3: Networking ist die halbe Miete
Seine letzten Lebensjahre verbrachte Otton wieder grösstenteils in der Waadt. Dann dürfte er sich auch um sein Begräbnis gekümmert haben. So schenkte er der Kathedrale von Lausanne ein Altartuch, das aus zyprischem Tuch besteht und in London umgearbeitet worden war. Heute befindet es sich im Bernischen Historischen Museum. Er vermachte der Kathedrale darüber hinaus grössere Geldsummen und sein Begräbnis soll weit und breit das prunvollste gewesen sein. Geschadet hat sicher auch nicht, dass mit Otton de Champvent sein Cousin auf dem Bischofsthron sass.
Was bleibt
Die Lebensgeschichte Ottons von Grandson sprengt so ziemlich jeden Rahmen, den man sich im Spätmittelalter vorstellen konnte. Politisch, geografisch, biologisch – in all diesen Bereichen setzte er Massstäbe. Gleichzeitig erinnerte sein Leben an die romanhaften Erzählungen grosser Rittertaten, die damals bereits der Vergangenheit angehörten und an die Generationen von Adligen während des folgenden Hundertjährigen Krieges anzuknüpfen versuchen sollten. Hierzu passt das luxuriöse Grabmal aus Marmor, das nicht zuletzt Ottons tiefe Religiosität widerspiegelt. Er war eben schon zu Lebzeiten ‚bigger than life‘ gewesen, und offensichtlich sorgte nicht nur er selbst dafür, dass das auch so blieb.
Literatur
Für weitergehende Literatur verweise ich wie immer auf meine Bibliografie.