Nur ein Steinwurf von der Schweizer Grenze entfernt steht die Abtei von Montbenoît im französischen Jura – ein Gesamtkunstwerk aus Architektur, Bildhauerei und Schnitzerei. Ausserdem fasziniert sie als Gemeinschaftswerk eines Niederländers und eines Spaniers in Formen der Gotik und Renaissance im abgelegenen Tal des Doubs. Ich finde: unbedingt einen Besuch wert!

Treffen sich ein Franzose, ein Spanier und ein Niederländer … So könnte man grob vereinfacht die Entstehung des Chors der Abteikirche von Montbenoît beschreiben.

Aber von vorne. Das Dörfchen Montbenoît mit seiner Abtei liegt an den Ufern des Doubs im Saugeais. Eingebettet zwischen endlosen Wäldern und hügeligen Weiden stand es bestimmt nie im Interesse der Weltöffentlichkeit. Trotzdem entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte ein beeindruckender Gebäudekomplex, der ausser der Kirche auch einen sehenswerten Kreuzgang aus dem 14. und 15. Jahrhundert umfasst. Doch wie kommt dieses Schmuckstück an so einen abgelegenen Ort?

Von der Gründung…

Entstanden ist das Kloster wohl aus einer Einsiedelei, die sinnigerweise von einem bestimmten Benoît in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts bezogen wurde. 1141 besiedelten Mönche aus der Saint-Maurice im Wallis den Ort und richteten eine klösterliche Gemeinschaft nach der Regel des heiligen Augustin ein. Als Wohltäter des sich nun entwickelnden Konvents traten die Herren von Joux auf, die sie mit bedeutenden Gütern ausstatteten. Welche Auswirkungen ihr Aussterben 1326 auf die Abtei hatte, wissen wir nicht mehr genau. Die heute sichtbaren Gebäude stammen grösstenteils aus dem 15. Jahrhundert, das Langhaus der Kirche wurde vermutlich um 1200 gebaut. Im Westen schliesst ein mächtiger Turm aus den 1920-er Jahren das Kirchenschiff ab.

… bis zu Ferry Carondelet

1515 trat Ferry Carondelet (1473-1528) auf den Plan. Er hatte nicht nur einen sehr schönen Namen, sondern war auch dafür verantwortlich, dass dieses trinationale Unternehmen in Angriff genommen wurde. Und das kam so: Carondelet war schon ein vielgereister Mann, als er Abt in Montbenoît wurde. Ursprünglich kam seine Familie aus Dole in der Franche-Comté. Bereits sein Vater war jedoch an den Hof der Burgunderherzöge in Mecheln gegangen und hatte dort unter Karl dem Kühnen (1433-1477) als Vorsitzender des Parlaments geamtet. So kam denn sein Sohn in Mecheln zur Welt. Auch Ferry wurde nach seinem Jus-Studium Beisitzender des nun Grosser Rat von Mecheln genannten Gremiums. Mittlerweile hatten die Machthaber gewechselt. Nicht mehr die Valois waren Herzöge von Burgund, sondern die Habsburger. Die burgundischen Niederlande waren zu den österreichischen Niederlanden geworden. Regentin war Margarete von Österreich (1480-1530), und in ihren diplomatischen Diensten stand Ferry Carondelet. Dabei verbrachte er die Jahre 1510-1513 am päpstlichen Hof in Rom. Er konnte also die neusten künstlerischen Entwicklungen in Italien gleich selber kennenlernen. Aus dieser Zeit stammt auch das von Sebastiano del Piombo (1485-1537) gemalte Bildnis, das sich heute in Madrid befindet. Auch sonst tat Ferry sich als Patron der Künste hervor. Für die Privatkapelle seiner Familie an der Kathedrale von Besançon liess er von Fra Bartolomeo (1472-1517) ein Altarbild malen, auf dem die Madonna mit den heiligen Sebastian, Stefan, Johannes dem Täufer, Antonius und Bernhard von Clairvaux zu sehen sind. Es überrascht, dass der Diplomat mit bestimmt guten Karriereaussichten sich dazu entschloss, in seine Heimat zurückzukehren und Abt eines abgelegenen Klosters zu werden. Für uns erweist sich das jedoch als Glücksfall, denn hier konnte er seine Tätigkeit als Mäzen voll entfalten.

Carondelets Massnahmen

Das Langhaus, um 1200, Ansicht von Nordost.

An das eher unscheinbare frühgotische Langhaus baute er einen grosszügigen, lichtdurchfluteten Chor an, den er üppig ausstatten liess.

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Pieter Buyens, Chor der Abteikirche Montbenoît, 1522-1526.

Im Inneren erscheint der Chorraum als leuchtender Höhepunkt, wenn man aus dem düsteren Langhaus schaut. Ursprünglich war der Prunk hinter einem Lettner verborgen, sodass man nur die Fenster und Gewölbe sah.

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Pieter Buyens, Chor der Abteikirche Montbenoît, 1522-1526, Inneres nach Osten.

Der Bildhauer und Architekt Pieter Buyens stammte aus Antwerpen. Dies erklärt auch, warum an dem Bauwerk Formen zu sehen sind, die genauso in der 600 Kilometer entfernten Hafenmetropole verwendet wurden. Man vergleiche nur die raffinierten Masswerkfenster mit dem Turm der Kathedrale.

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Pieter Buyens, Chor der Abteikirche Montbenoît, 1522-1526, Gewölbe.

Auch die Schlusssteine im Gewölbe, die dem Verlauf der Rippenkreuzungen folgen, sind typisch brabantisch. Hier tummeln sich Putten, die unter anderem Wappenschilde Ferry Carondelets halten. An einem dieser Schlusssteine hat Buyens das Werk signiert – leider schwierig zu fotografieren. Auch die gleichzeitige Rankenmalerei ist schön erhalten. Ob die Glasmalerei in den Masswerkcouronnements noch original ist?

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Wohl Francisco de Toiria, Chorgestühl der Abteikirche Montbenoît, Evangelienseite, um 1520-1526.

Ein Spanier, Francisco de Toiria, schuf vermutlich mit einer Werkstatt und möglicherweise zusammen mit Buyens das Chorgestühl. In den Quellen werden beide gemeinsam als „Meister des Tischler- und Bildhauer-/schnitzerhandwerks“ bezeichnet. Mit ihren reichen Verzierungen muten die Rückwände fast schon barock an, während in den Bekrönungen noch Anklänge an gotische Fialen auftauchen. Das ganze ist höchst qualitätsvoll geschnitzt.

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Wohl Francisco de Toiria, Chorgestühl der Abteikirche Montbenoît, um 1520 – 1526, Seitenwange.

Manche Darstellungen passen nicht so recht in ein Kloster. Sie dürften bei den Klosterbrüdern Erheiterungen hervorgerufen haben, so das Relief der Phyllis, die auf dem Rücken ihres Mannes Aristoteles reitet. Moralischer Kommentar ja, aber musste das die Mönche überhaupt kümmern?

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Wohl Pieter Buyens, Priestersitz und Lavabo der Abteikirche Montbenoît, um 1520 – 1526.

Auch das steinerne Mobiliar ist in modernen Renaissanceformen gehalten und mit erlesenen Verzierungen ausgestattet. Die Umrahmung des Priestersitzes überzeugt mit üppigen Balustersäulen. Auf den Gebälken finden sich Inschriften, die auf den Stifter Carondelet verweisen und die genauen Jahreszahlen der Vollendung mitteilen.

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Wohl Pieter Buyens oder Francisco de Toiria, Epitaph für die Herren von Joux, um 1525, Abteikirche von Montbenoît.

Überhaupt war Ferry Carondelet wohl sehr daran gelegen, sich als Patron zu verewigen. Dazu benützte er einen Kunstgriff, mit dem er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte: Beim Neubau des Chores muss das Grabmal der Herren von Joux in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Kurzerhand errichtete Carondelet ihnen ein Neues. Darauf sieht man Landry de Joux hoch zu Ross in voller Rüstung. Ein wenig erinnert das Epitaph und die Figur an Grabmäler italienischer Condottieri, beispielsweise im Mailänder Dom. Nicht nur den längst vergangenen Schirmherren der Abtei wurde damit ein Denkmal gesetzt, sondern auch dem neuen Mäzen und Abt. Carondelets Terrakottabüste befindet sich unten in der Mitte. Die Inschrift belehrt uns über seine Taten als Benefaktor der Abtei und Bewahrer der Erinnerung an die Herren von Joux.

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Wohl Pieter Buyens oder Francisco de Toiria, Epitaph für die Herren von Joux, um 1525, Abteikirche von Montbenoît, Detail Terrakottabüste Ferry Carondelets.

Kurz:

Spezifische historische Gegebenheiten und die Weltgewandtheit des Abtes Ferry Carondelet liessen Montbenoît also zu einem Juwel der Übergangs zwischen Spätgotik und Renaissance zwischen den Hügeln des Juras werden. Carondelet wollte die besten Künstler und Handwerker, die er bekommen konnte. Dabei engagierte er einen Brabanter, der mit den neuesten Formen aus Antwerpen vertraut war und einen Spanier, der ebenso gut mit den italienischen Formen umgehen konnte.

Es war dies übrigens nicht die einzige Baustelle in Ostfrankreich, an der niederländische Bauleute federführend waren – aber davon vielleicht ein andermal (Spoiler: wenn ich Zeit und Mittel auftreiben kann, Bourg-en-Bresse zu besuchen) …

Ausflugstipp

Wer nicht stolzer Besitzer eines Automobils oder ein solches nicht zu lenken im Stande ist, erreicht Montbenoît nicht so leicht. Wer es trotzdem versucht, kann aus der Not eine Tugend machen und den Ausflug mit einer schönen Wanderung verbinden. Ich schlage für einen Tagesausflug am Wochenende folgendes vor:
Von der Schweiz aus Anreise mit dem RE von Neuchâtel nach Pontarlier 07:06 – 07:52. Von dort Weiterreise mit dem Bus LR206 nach Montbenoît 08:20 – 08:39. Um 09:30 öffnet die Abtei ihre Pforten, wobei zu beachten ist, dass der Besuch des Chorraums und des Kreuzgangs nur im Rahmen von Führungen möglich ist. Diese werden 2-stündlich angeboten. Dabei kann man auch einen Blick auf die Fragmente des ehemaligen Lettners erhaschen. Der Bus zurück nach Pontarlier fährt um 19:00. Wer für die Besichtigung nicht so lange braucht, kann den Weg nach Pontarlier zu Fuss zurückzulegen. Glücklicherweise steht dafür auch eine wunderschöne Route bereit. In etwa drei Stunden gelangt man so wieder in das ebenfalls sehenswerte Städtchen, wo der Zug zurück in die Schweiz schon wartet.

Beitrag Montbenoît - Ill.
Blick zurück auf Montbenoît.

Lesetipp

Nicolas Boffys Aufsatz über die Persönlichkeit Ferry Carondelets als Kunstmäzen hat mir beim Verfassen dieses Artikels sehr geholfen. Man findet den Link dazu in meiner Bibliografie.